Smart Stores und wie sie funktionieren

Prof. Stephan Rüschen, DHBW Heilbronn

2015 ist die Geburtsstunde der Smart oder Tiny Stores 24/7: Amazon Go eröffnet in Seattle den ersten unbemannten Store. Es dauerte dann vier Jahre, bis diese Entwicklung auch in Deutschland und Europa zu neuen Store-Formaten führte. In der Zwischenzeit existieren in Deutschland und Europa ca. 45 Konzepte (Stand Oktober 2021), die von Händlern getestet wurden und sich teilweise bereits in einem Roll-Out-Modus befinden.


Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel/Food Retail und Studiengangsleiter Handel, forscht an der DHBW Heilbronn zu automatisierten Store-Konzepten und hat dazu eine Klassifizierung entwickelt. Er hat den dLv-Leitfaden für die Digitalisierung im Retail um das Kapitel Smart Stores ergänzt. Ein Auszug aus seinem Beitrag ist nachfolgend abgedruckt.

Diese Fünf sind entscheidend                                                                     

Die Konzepte für Smart oder Tiny Stores Konzepte haben fünf Merkmale gemeinsam:
» Personallos/unbemannt (‚Automated Self Service‘)
» Rund um die Uhr geöffnet (‚24/7‘)
» Kleine Flächen (‚Tiny‘)
» Bargeldlos (‚Cashless‘)
» Registrierung erforderlich (‚Identification‘)

Aber: Ausnahmen bestätigen die Regel, nicht alle Konzepte weisen alle fünf Merkmale auf. So gibt es auch hybride Lösungen. Während der normalen Öffnungszeiten (z. B. Mo-Sa 7.00 - 20.00 Uhr) ist der Store mit Personal geöffnet und der Kunde kann den Einkauf auch an besetzten Kassen beenden.

Außerhalb dieser Öffnungszeiten wird der Store unbemannt betrieben und der Einkauf wird automatisiert abgewickelt. Der Vorteil für den Händler liegt darin, dass er dem Kunden einen zusätzlichen Service anbieten und auch zu frequenzschwachen Zeiten seinen Store öffnen kann. Beispiel für einen mit und ohne Personal betriebenen Store ist Würth24.

Es gibt zwei wesentliche Unterschiede zwischen den Konzepten. Bei Walk-in-Konzepten (Grab & Go, Smartphone Scanning oder Kassen-Self-Checkout) sind die Sortimente frei zugänglich, die Artikel werden in einem begehbaren Store vom Kunden aus Regalen heraus gekauft. Dagegen wählen Kunden bei Automated Boxes (Automatische Kommissionierung, Automatenshops oder traditionelle Automaten) über App oder Touch-Display einen Artikel, der dann von einer Robotik oder einem Automaten kommissioniert und ausgegeben wird.

Walk-in: Hoher Investitionsaufwand für Convenience

Beim Grab & Go werden über Kameras und Gewichtssensoren die Einkäufe der Kunden erfasst sowie dem Kunden, der sich beim Betreten des Ladens durch eine App identifizieren muss, zugeordnet. Ein Auschecken oder Scannen der Ware ist nicht notwendig und stellt damit zur Zeit die höchste Convenience Stufe der 24/7-Konzepte dar. Beispiele sind: Amazon Fresh (UK), Tesco (UK), shop.box (D), Zakpka (PL), Morrions (UK), Aldi Nord (UK) und Aldi Süd (Utrecht), GO24/7 (POR) und Continente Labs (POR).

Für Kunden ist das ein schneller Einkauf, weil er die Waren nicht scannen muss. Grab & Go ist allerdings mit hohem Investitionsaufwand verbunden. Wie die Technik auf großen Flächen skalierbar ist, ist noch nicht erprobt. Beim Smartphone Scanning oder Kassen-Self-Checkout muss der Kunde selbst Hand anlegen beim Zahlvorgang. Beispiele sind: Emmas Tag- und Nachtmarkt (D), Teo (D), DB 24/7, Avecbox (CH), Voi Cube (CH). Wer bereits im stationären Handel Self-Checkout genutzt hat, kennt die Vorgänge. Der Händler muss für diese Technologie weniger investieren als für das Modell Grab & Go.

Automated Boxes: Aufwand beim Vorhalten der Waren

Die Bedienung der traditionellen Automaten kennt der Kunde teilweise seit Jahren. Automaten sind in den letzten Jahren von Direktvermarktern für Eier, Erdbeeren, Fleisch, Wurst oder Milchprodukte wiederentdeckt worden. Beispiele sind: Regiomat, Regio-Box, Aldimat. Die Investitionen in einen Automaten sind vergleichsweise gering. Allerdings muss er bei hoher Kundenfrequenz häufig nachgefüllt werden.

Bei der automatischen Kommissionierung wählt der Kunde über eine App und/oder einen Touch-Screen seine Produkte aus und bezahlt diese Produkte i. d. R. durch bargeldlose Anwendungen. Der Vorteil ist hier, dass bis zu 2.000 Produkte gelagert werden können. Beispiele sind: TYPY, Edeka Renningen 24/7, Latebird und shop.box. Der Kunde muss sich häufig nicht registrieren, sieht aber im Gegensatz zu den Walk-in-Konzepten das Sortiment nur über ein Display oder eine App. Der Investitionsaufwand für den Aufbau der Robotik ist zu beachten.

Automatenshops verbinden mehrere klassische Automaten und können somit dem Kunden ein größeres Sortiment anbieten. Beispiele sind: Herr Anton, TWENTY 47 und Flavura 24/7. Die Technologie ist bekannt, die Investitionskosten bleiben im Rahmen, der Kunde sieht die Waren nicht am Display, sondern durch eine Glasscheibe. Automaten können von verschiedenen Lieferanten eigenständig nachgefüllt werden.

Bleiben Smart Stores?

Neben den unterschiedlichen technologischen Lösungen sind auch die Standorte vielfältig. Zum einen befinden sich 24/7-Stores in ländlichen Gebieten (z. B. Emmas Tag- und Nachtmarkt, Tante M, Regiomat, Tante Enso, Teo), zum anderen aber auch in innerstädtischen Lagen (z. B. Combi, Teo, Typy, Edeka Renningen 24/7). Dabei werden solche Konzepte auch an Standorten wie Bahnhöfen, Hochschulen, Bürokomplexen und Seniorenresidenzen getestet. 24/7-Konzepte sind nicht nur ein kurzfristiger Trend, sondern werden eine Nische besetzen. Dabei werden vermutlich mehrere verschiedene technologische Konzepte – angepasst an den Standort und die Produkte – parallel nebeneinander existieren können.

Erschienen im dLv-Insider 67.

Der Leitfaden zur Digitalisierung am POS wurde mit dem Beitrag von Prof. Rüschen aktualisiert. 

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