Alles neu macht der Mai

Daniel Schnödt, Trendexperte Retail und Autor

Wenn wir „Bleib wie Du bist“ sagen, ist das als Kompliment gemeint. Sicher gibt es auch Handelsunternehmen, Spezialisten in ihrem Bereich, deren Kunden keine Veränderungen erwarten, die deshalb so bleiben wie sie sind und damit gute Ergebnisse erzielen. Doch es gibt viele Unternehmen, die das Gegenteil machen: Sie erfinden sich neu. Die Südtiroler Sparkasse, immerhin 165 Jahre alt, ist so ein Beispiel. Sie begeistert mit einem Konzept, das die Traditionen der alpinen Region, in der sie beheimatet ist, modern und für eine nüchterne Bank ungewohnt interpretiert. Kunden mögen Player, die den Mut zu neuen Wegen haben. Neue Wege, die Retailer jetzt beschreiten sollten, zeigt Daniel Schnödt auf.

„Alles neu macht der Mai.“ Das bekannte Lied des Schriftstellers Hermann Adam von Kamp beschreibt eindrucksvoll die Aufbruchsstimmung, die uns regelmäßig im Frühling befällt und uns Optimismus beschert: Endlich wieder raus! Mit Tatkraft und innovativen, kreativen Ideen. Aktuell beflügeln die Einzelhandelslandschaft Themen wie neue Vertriebswege, Downsizing, transformierte Erlebniswelten, autonome Formate und Vorwärtsintegrationen. Diese Innovationen im Direct-to-Customer-Marketing profilieren auch den Markenkern, was Herstellern ebenso wie Einzelhändlern zugutekommt. Die gegenwärtige Aufbruchsstimmung hat auch die renommierten Player ergriffen, die auf den folgenden Seiten vorgestellt werden. Denn gerade jetzt ist der richtige Zeitpunkt, sich am Markt neu zu positionieren.

Die Konsumenten befinden sich durch die aktuellen grundlegenden Veränderungen in einer Phase der Orientierung. Sie lösen sich von alten Bedürfnissen und erkunden neue. Schon in der Vergangenheit haben sich in Krisen drei Verhaltensmuster entwickelt, die sich in drei Wünschen widerspiegeln:
• Wunsch nach Nähe und Gruppenzugehörigkeit (Community),
• Wunsch nach Abstand und Autorität,
• Wunsch nach Verantwortungsbewusstsein und Nachhaltigkeit.

Allen drei Herausforderungen begegnet der Retail am besten mit einer klaren Kundenzentrierung und Kundenansprache. Dazu gehört ein hohes Maß an verbaler, nonverbaler oder digitaler Informations- und Servicebereitschaft. Die lässt sich am besten in einem nachhaltigen, innovativen, flexiblen und interaktiven Umfeld realisieren – und zwar mit starker Berücksichtigung des Internets, zu dem die Konsumenten vor allem in jüngster Vergangenheit eine sehr starke Affinität entwickelt haben.

Um letztlich erfolgreiche Konzepte zu entwickeln, sollten beim Bau und bei der Neustrukturierung von Retail-Landschaften die folgenden vier Planungsebenen konsequent bearbeitet werden.

Erlebnisräume ganzheitlich inszenieren

Die Ergebnisse unserer Gespräche mit der Ladenbaubranche unterstreichen die Notwendigkeit eines eindeutigen Markenprofils. Erlebnisräume müssen das gewählte Selbstbild eines Unternehmens verbal und nonverbal transportieren, Aufmerksamkeit und Entscheidungsverhalten beim Konsumenten positiv bestärkt werden. Nur so ist es möglich, die richtige Brand Awareness beim Kunden zu erreichen.

Warenräume flexibel planen

Die geschaffene Bühne und Architektur muss den kuratierten Sortimenten genügend Spielraum mit höchster Flexibilität bieten. Es gilt, den Raum in den unterschiedlichsten Weisen nutzen zu können. In ihm werden nicht nur Waren präsentiert und Dienstleistungen erbracht, vielmehr wird er zunehmend hybrid genutzt – auch für die Bereiche Living und Working. Diese Funktionen können nur dann neben- und miteinander vollzogen werden, wenn die Sortimente nicht mehr in Massen angeboten werden. Verlängerte digitale Regale schaffen hier Abhilfe. Es entstehen allerdings Kollisionsflächen, die sich im ersten Moment nicht miteinander verbinden lassen. Jetzt ist Kreativität gefragt, die mitunter zu Lösungen führt, die sich auch sehr gut viral verbreiten lassen.

Kundenräume neu denken

Kundenräume müssen immer gesondert betrachtet werden, auch wenn sie in den Warenflächen integriert sind. Kennt man seine Zielgruppe, weiß man auch, welche Präferenzen sie hat und welche Umgebungen sie bevorzugt. Ein eigener Layer erinnert stets an diese relevanten Aufenthaltsorte. Dazu zählen neben den Klassikern – wie Thekenflächen, Umkleiden, Ruhe- und Kassenzonen – ganzheitliche Konzepte, da die Kunden ihrerseits die Fläche als Bühne nutzen wollen. Der Kunde von morgen versteckt sich nicht mehr in Ankleideräumen oder Separees. Man speist oder klettert im Schaufenster, veranstaltet eigene Modenschauen, die sich digital in Windeseile verbreiten, oder chillt eine Stunde in eigens geschaffenen Ruheräumen.

Datenräume integrieren

Die digitale Transformation ist im vollen Gange – erfolgreiche Händler können sich dieser Technologie nicht mehr entziehen. Sie verlängern das digitale Regal in die Umkleidekabine, ermöglichen Live Shopping und Remote Communication. Von der Industrie bis zum Konsumenten wird diese Technik unser Leben nachhaltig verändern. Um an dieser Entwicklung teilzuhaben, empfiehlt es sich z. B., dass das Team die entsprechenden Bausteine des „Retail as a Service“ mit Hilfe von SWOT-Analysen ermittelt und kontrolliert.

Eines ist gewiss – der Kunde entscheidet letztlich, wo und wann er kauft. Die Handelslandschaft von morgen bekommt eine ganz neue Bedeutung. Sie ist der Marktplatz für die eigene Community der Konsumenten, auf dem Emotionen und Experience – und nicht der Umsatz – die wichtigsten Indikatoren sind.

Erschienen im STORE BOOK 2021. Hier bestellen.

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