Geschäftsführer IFH KÖLN
Kaufen Sie gern stationär ein und wenn ja, wie sieht für Sie der ideale stationäre Laden aus?
Ich bin mit stationärem Handel aufgewachsen, mein Fokus liegt aber schon seit mehr als 20 Jahren auf der Vernetzung von Onlinehandel und dem stationären Handel, dem Multichannelhandel. Ja, ich bin gerne in Geschäften unterwegs, vor allem mit meiner Familie. Der gemeinsame Wochenendeinkauf ist ein Ritual, das wir gerne pflegen. Es sind überwiegend Versorgungskäufe, ich kenne die Läden. Bei größeren Anschaffungen ist meine erste Anlaufstelle Amazon, das ich als Informationsquelle ausgiebig nutze. Wenn ich mir es bequem machen will und wenig Zeit habe, ist der Bestellbutton schnell geklickt. Meine persönliche Erfahrung, kürzlich so erlebt beim Einkauf eines großen Haushaltsgeräts in meiner Region, ist die: Wenn der stationäre Handel ein preisattraktives Angebot hat, der Service zuvorkommend und kompetent ist, dann hat er alle Chancen, mich als Kunden sehr zufrieden zu machen.
Warum schafft er das manchmal nicht?
Das liegt unter anderem daran, dass das Handelsgeschäft sehr anstrengend geworden ist. Der Kunde merkt das. Meine Familie und ich haben vor der Pandemie regelmäßig an manchen Samstagen ein nahe gelegenes Möbelhaus einer großen Kette besucht. Produktauswahl und Ambiente haben uns gefallen, der Besuch der Gastronomie war obligatorisch. Das war ein richtig gutes Einkaufserlebnis. Durch die Pandemie hat sich im Haus einiges verändert. Das Personal ist knapp, der Service leidet, das Angebot wird reduziert, es bilden sich im Restaurant Warteschlangen, und prompt leiden die Kundinnen und Kunden, die das vorher ganz anders gewöhnt waren. Im schlimmsten Fall verabschieden sie sich auf Nimmerwiedersehen. Das Großflächenkonzept krankt, wie man jetzt sieht, an der Kleinteiligkeit und am Fachkräftemangel. Gutes Personal ist für die Erlebnisqualität vor Ort essentiell. Der Händler reagiert nicht schnell genug oder mit frischen Ideen auf die Veränderungen. Das ist nur eines von vielen Beispielen im Retail, das ich beobachte. Der Handel hat Herausforderungen an allen Ecken und Enden, die er bewältigen muss.
Handel ist Handel, ob stationär oder online, oder nicht?
Die Voraussetzungen für den stationären und den Onlinehandel sind sehr unterschiedlich. Wer sein
stationäres Geschäft gut im Griff hat, kann das nicht zwangsläufig auch im E-Commerce gut. Die Fragen sind zunächst die gleichen: Wie werden Kundinnen und Kunden auf mich aufmerksam? Wie generiere ich aus Besucherinnen und Besuchern neue Käuferinnen und Käufer? Aber in der Praxis ist
der Onlinebereich wie eine neue Disziplin. Ich muss mich mit Google und Social Media auskennen
und die Wirkungsweise verstehen. Es gelingt wenigen, das bestehende Potenzial zu heben.
Woran scheitert das häufig und wer ist erfolgreich?
Schauen Sie sich den Lebensmitteleinzelhandel an, der hat in seinen Märkten die Laufwege, die Sortimentspräsentation, die Kassenzonen perfektioniert. Es gibt hier sehr viel Prozesswissen, eine ausgefeilte Logistik, einen nahezu reibungslosen Zahlungsverkehr. Das muss auf die Onlinewelt übertragen werden. Das ist nur mit sehr guten Spezialisten zu schaffen, das kostet Geld. Hinzu kommt der enorme Wettbewerbsdruck, unter dem die Retailer stehen. Der Marktanteil von über 50 Prozent, den die Plattform Amazon aufweist, verdeutlicht den starken Konzentrationsprozess im Onlinehandel, der nur noch Raum für wenige lässt. Amazon ist extrem dominant, die Plattform wächst und wächst. Besonders die kleinen Händler haben sehr zu kämpfen. Händler, die stark im stationären Geschäft sind, wie beispielsweise Douglas und Media Markt, können eher mithalten. Auch Obi, Ikea oder Rewe sind gute Beispiele für eine gelungene Transformation vom stationären zum Multichannelhandel. Die Kombination von Online und Offline funktioniert bei diesen Händlern gut.
Muss jeder Retailer im E-Commerce präsent sein?
Es wurde lange unter Fachleuten die Ansicht vertreten, jeder Händler müsse online verkaufen. Wir vom IFH KÖLN haben 2002 die erste Multichannelstudie in Deutschland herausgegeben, wo wir bereits ein differenzierteres Bild gezeichnet haben. Als großes Unternehmen habe ich die Aufgabe, online präsent zu sein, idealerweise im eigenen Shop und/oder auf einer Plattform. So verschaffe ich mir im Internet maximale Präsenz, die ich kanalübergreifend nutzen kann. Der Onlineshop mit guter Anzeige der Produktverfügbarkeit ist zweifellos ein sehr gutes Kundenbindungsinstrument. Von großen stationären Retailern kann ich inzwischen auch im E-Commerce hochprofessionelles Handeln erwarten.
Die Großen kann der Kleine nicht kopieren. Was kann der kleine Händler denn tun?
Als kleiner Händler kann ich personell und fachlich unter Umständen nicht das Gleiche leisten wie die großen Player, das stimmt. Ich sollte meine Energie lieber in das stationäre Geschäft stecken und online auf Kundenfang gehen. Wer es versteht, seinen Kundinnen und Kunden eine eigene und individuelle Geschichte zu erzählen und in einer ansprechenden Umgebung ein kuratiertes Sortiment zu präsentieren, hat schon einmal einen guten Start. Serviceorientiertes Personal, eine gute Retouren-Hygiene und eine gepflegte Website sind Pflicht. Ein Onlineshop schadet nicht, wird das Geschäft im Zweifel aber nicht retten. Die gute Nachricht aus technischer Sicht ist, dass es auch mit kleinem Budget möglich ist, einfache Mietshops zu bespielen und damit einen hochprofessionellen Shop aufzuziehen.
Eine echte Chance für lokale Händler bieten Social Media. Der Händler als Influencer ist eine Spezies, die es noch viel zu selten gibt. Er performt in eigener Sache, stellt vielleicht selbst seine Waren vor, berichtet über seine Vorhaben, versprüht Lokalkolorit und ist im direkten Dialog mit seinen Kundinnen und Kunden. Das ist viel persönlicher, als es große Händler leisten können, die das zentral und damit eher anonym organisieren müssen. Die Frage, die sich aber jeder Händler ehrlich stellen sollte, ist, wieviel Aufwand er leisten kann und will.
Welchen Weg muss der Handel gehen?
Ich habe Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Handelsfremd habe ich danach am IFH KÖLN als erstes die drei Erfolgsfaktoren des Handels kennengelernt: Standort, Standort und Standort. Das ist nach wie vor wichtig, reicht aber nicht mehr aus. Und der Beweis für die Binsenwahrheit „Handel ist Wandel“ wird jeden Tag aufs Neue erfolgreich geführt. Daran hat sich nichts geändert – im Gegenteil! Die Digitalisierung, der sich jeder Retailer stellen muss, muss aus Kundensicht gesehen werden. Was brauchen Kundinnen und Kunden, was werden sie nutzen? Was hätte ich als Händler am PoS gern digital umgesetzt, darf keine Rolle spielen. Wer ein Multichannelkonzept anstrebt oder umge-setzt hat, muss dieses kontinuierlich mit Leben füllen. Es ist kein Selbstzweck, sondern muss einen Mehrwert für die Kunden und Kundinnen bringen. Wer auf Plattformökonomie setzt, muss wissen: Es geht nur um den Preis!
Wer mit einem Multichannelkonzept erfolgreich sein will, muss drei Dinge haben: eine intelligente Plattformstrategie, einen professionellen Social-Media-Auftritt und eine gute stationäre Präsenz. Und er muss umdenken: Viele Maßnahmen führen nicht direkt zum Kauf. Das war sicher früher, zu Zeiten des rein stationären Handels, anders. Die Kundinnen und Kunden gingen in Kaufabsicht in den Laden und verließen mit hoher Wahrscheinlichkeit denselben mit einer Tasche wieder. Es gab nicht so viele Gelegenheiten, wo er hätte fündig werden können. Heute werden sehr viele Kundinnen und Kunden rund um die Uhr auf eine Customer Journey eingeladen, an deren Ende nur für einige vielleicht ein Kauf steht. Damit es dazu kommt, ist viel Know-how und vor allem viel Detailarbeit nötig.
Erschienen im STORE BOOK 2024. Hier bestellen.
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