Die Bedeutung des Lichts im Store

Reinhard Vedder, selbständiger freier Lichtarchitekt für den Bereich Retail

Mit den Augen spüren, mit der Wärme des Lichts umarmen - Die Bedeutung des Lichts im Store

Jeder Händler kennt die Weisheit: Wer seine Ware verkaufen will, muss sie ins rechte Licht rücken. Im Roman des französischen Autors Émile Zola „Das Paradies der Damen“ (Au Bonheur des Dames) von 1883 ist es die aufwändige Beleuchtung, die die Warenpräsentation der aufblühenden „Grands Magasins“ so überlegen macht, dass dies zum Niedergang des kleingewerblichen Einzelhandels führte. Als bei der Eröffnung seines fiktiven Riesenwarenhauses das Licht aufflammte, sei ein Raunen des Entzückens durch die Wartenden gegangen.

Wenn rund einhundertvierzig Jahre später vor allem die großen Handelsflächen und Warenhäuser für überflüssig erklärt werden, dient oft der boomende Onlinehandel als Erklärung. Erst die Corona-Pandemie machte sichtbar, dass das Bedürfnis der Menschen nach echtem, nicht virtuellem Erleben der eigentliche Antrieb für die Wiederbelebung des stationären Handels ist. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diesmal überwiegend die Betreiber kleinflächiger Stores den Mut für neue Gestaltungskonzepte aufbringen.

Die neuen, beeindruckenden Geschäfte sind individueller, stylischer und aufgeräumter mit weniger Ware. Vor allem aber kümmern sie sich mit geschulten Mitarbeitern um die Belange der Menschen, in den Kabinen, an den Kassen und im gesamten Service. Diese Mitarbeiter sind kompetente Berater, sonst könnte man ja auch online kaufen.

War es das jetzt? Professioneller Ladenbau, ein raffiniertes Visual Merchandising, dazu noch ein Espresso und Apple Pay? Es verwundert doch sehr, wie wenig bei all dem guten Wissen über ein perfektes Storedesign auf die Beleuchtung und ihre Wirkung geachtet wird. 

Vor kurzem in einem neuen Einkaufszentrum: Das warme herbstliche Sonnenlicht leuchtet durch die Glasfassade in die Mall. Weiter hinten leuchten nur noch das sehr soßige „Flurlicht“ auf den Boden und die hellen Strahler in den Stores. Das geübte Auge entdeckt eine neue Gestaltungsvariante des modernen Ladenbaus. Es hängen auffällig viele lineare Lichtstreifen in rechteckig, quadratisch und rund über der Ware und versuchen, etwas Bedeutung in das Einerlei der Flächen zu bringen. Dabei sind sie so hell, dass sie der Ware die Schau stehlen.

Ein namhafter Textilanbieter verzichtet in seinen zwei Etagen gleich ganz auf den Einsatz von einstellbaren Strahlern. Die verwendeten Downlights kann man nicht einstellen, sie leuchten senkrecht nach unten. Nur entlang der Wände sind einstellbare Geräte auf die Wand oberhalb der Ware ausgerichtet. Es gibt also fast keine leuchtenden Höhepunkte, Dekorationen, Ware und Mannequins wirken unattraktiv blass, nur die Wände reflektieren viel zu hell. Meine jungen Begleiter:innen sind sich schnell einig, hier werden sie nicht einkaufen. Auch älteren Kunden sollte man aufmerksam zuhören. Man kann Kunden aufmerksam zuhören. Sie sagen dann: Es sieht langweilig aus. Es sind also die faden Wirkungen veralteter Beleuchtungsprinzipien und unzureichende Lichtqualitäten, die ehemals prachtvolle Handelspaläste und Traditionsmarken altmodisch und uninspiriert erscheinen lassen, egal wieviel Ideen und AUfwand in Materialien und Ladenbau stecken. Bei Anwendung von neuen, höherwertigen Lichttechniken, die längst zur Verfügung stehen, gibt es dagegen spontane positive Resonanz: „Es ist so eine angenehme Atmosphäre hier, als würde die Sonne scheinen.“

Lichträume sind die stärksten Gestaltungsmittel im Handel. Um die Missachtung dieses mächtigen Elementes zu verstehen, muss man wissen, dass es den Beruf eines Lichtplaners oder Lichtarchitekten offiziell gar nicht gibt. Erst seit wenigen Jahren fordert der junge Verband freier und unabhängiger Lichtplaner FILD – Federation of International Lighting Designers e.V. - die Schaffung eines Berufsbildes und das Masterstudium Lichtarchitektur.

Auch wenn es ungewohnt klingt, die Lichtinszenierung ist der Voodoo-Zauber in der Handelsfläche. Sie entscheidet unmittelbar und unterbewusst, wie Kund:innen auf einen Store reagieren. Die Werkzeuge sind die hohe Lichtqualität (= ein möglichst hoher Farbwiedergabewert) und ein präzises Lichtkonzept anstelle einer Rasterplanung. Helligkeit allein ist zu wenig, das merken wir an nebeligen Tagen. Damit sich Menschen so richtig wohlfühlen, braucht es das Sonnenlicht. Es erfüllt uns mit Lebensfreude und macht glücklich. Es ist der größte Luxus der Menschheit.  

Daher gelten auch fundamentale Spielregeln: Stores führen emotional in ein Schlaraffenland, das von den Kunden durchwandert wird. Als Lichtdesigner denkt man deshalb in Szenen und inszeniert die Ware entlang der Wege durch diese märchenhafte Welt. Dabei soll die Ware so natürlich wie möglich wirken. Gutes Licht erreicht, dass man den Stoff gar nicht angreifen muss, man kann seine Hochwertigkeit schon mit den Augen fühlen und empfinden. Das ist einzigartig und gilt für den Raum und alle eingesetzten Materialien. Diese hohe Lichtqualität täuscht nichts vor und verführt die Kunden nicht. Im Gegenteil, sie bietet ein wahrhaftiges, emotionales Einkaufserlebnis. Ein weiterer, wesentlicher Vorteil ist: Das Auge braucht weniger helles Licht. Wir sparen bis zu vierzig Prozent Strom. Was für eine wundervolle, faszinierende Vision: Mit deutlich weniger Energie das bessere Licht bekommen. Die Entscheidungen in Lichttests fielen oft einstimmig aus. Das bedeutet, dass Menschen einen sicheren Instinkt für eine gute Lichtqualität haben. Was für eine wundervolle Vision: Mit deutlich weniger Energieverbrauch das faszinierende Licht zu bekommen, das uns mit Lebensfreude erfüllt und die Stores verzaubert.

Erschienen im STORE BOOK 2023. Hier bestellen.

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