Geschäftsführerin Schwitzke & Partner GmbH
Bereits im März 1982 veröffentlichten die SozialwissenschaftlerGeorge Kelling und James Wilson einen Artikel zur Broken-Windows-Theorie. Diese besagt, dass sichtbare Zeichen von Verfall zu erhöhtem Fehlverhalten führen können, das den Verfall weiterverschärft. Kleine Probleme wie sachbeschädigende Graffiti, kaputte Fenster oder herumliegender Müll können in Städten das Gefühl von Unsicherheit und Verfall verstärken. Befürworter betonen die Wichtigkeit konsequenter Instandhaltung öffentlicher Räume zur Kriminalitätsreduzierung. Kritiker behaupten, dass die Theorie zu stark vereinfacht ist und soziale, wirtschaftliche und kulturelle Faktoren außer Acht lässt. Ihrer Ansicht nach reicht es nicht aus, nur sichtbare Anzeichen von Verfall zu beseitigen. Um die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern, sind umfassendere Maßnahmen erforderlich.
Viele Probleme hätten vermieden werden können
Es ist mir selbstverständlich bewusst, dass eine differenzierte Betrachtung jeder Stadt und ihrer spezifischen Situation erforderlich ist. Eine Metropole mit ihrer hohen Anziehungskraft mag weniger oder andere Herausforderungen haben als beispielsweise eine Kleinstadt, die sich oftmals einem erheblichen wirtschaftlichen Druck gegenübersieht. Meiner Meinung nach hätten viele Probleme vermieden werden können, wenn die Städte früher auf die Veränderungen im Einkaufsverhalten und die wirtschaftlicheSituation reagiert hätten. Es wurde zu lange passiv beobachtet, wie sich unsere Gesellschaft auseinander entwickelt. Die Kluft zwischen Luxus-Shoppern und Menschen, die gerade so über die Runden kommen, wird immer deutlicher. Besonders die zweite Gruppe wird vom Onlinehandel über den Preis bedient. Gleichzeitig haben sich Fachmärkte auf der grünen Wiese zu bedeutenden Einkaufsorten entwickelt, die durch ihre bequeme Erreichbarkeit, großzügige Parkmöglichkeiten und E- Ladestationen punkten. Währenddessen gewinnen in den Innenstädten 1-Euro-Shops und ähnliche Geschäfte allmählich an Bedeutung. Die Verbreitung dieser Läden setzt einen Teufelskreis in Gang, in dem Geschäfte mit höheren Preisen verdrängt werden, selbst traditionelle Metzgereien und Bäckereien finden keinen Raum mehr, und die Broken-Windows-Theorie tritt in Kraft.
Autos gehören in die Innenstadt
Die Städte haben es über sich ergehen lassen – schlimmer noch, sie haben kontraproduktiv gehandelt. Der Verkehr wurde und wird aus der Stadt genommen, öffentliche Verkehrsmittel sind unzureichend und Parkgebühren horrend. Vielleicht könnte eine Alternative der geteilte Verkehrsraum sein, den wir bei unseren Nachbarn in Holland sehen. Oder ein kostenloses Park- oder Busticket. Ansonsten machen es die Städte den Kunden zu schwer, in die Stadt zu kommen, nicht nur wegen der unbequemen Wege, sondern auch wegen des monotonen Angebots. Eine einfallslose Verteilung der Handelsflächen ist wenig zielführend. Gefragt sind besondere Marken und Läden, die nicht nur Produkte anbieten, sondern auch als Treffpunkt und Inspirationsquelledienen. Die Betonung von Regionalität, Heimatgefühl und Vertrautheit gewinnt zunehmend an Bedeutung. Städtische Handelskonzepte sollten diese Bedürfnisse ganzheitlich berücksichtigen, um lebendige und attraktive Einkaufsumgebungen zu schaffen.
Warum Wohnraum die Innenstadt erobern muss
In der Entwicklung haben die Kieze mit einer dörflichen Struktur bereits einen Schritt weitergedacht und leben es den Städten vor: Diversität, eine pulsierende Gastronomieszene und ein ansprechender öffentlicher Raum. In diesen lebendigen Stadtvierteln sind Menschen zu Hause. Für mich ist es daher essenziell, Wohnraum in der Innenstadt zu schaffen, um das urbane Leben zu bereichern. Diese Bewohner:innen streben nach Lebensqualität, Grünflächen, Sitzgelegenheiten und einem facettenreichen Angebot an Restaurants, Cafés und kulturellen Veranstaltungen, die den Austausch fördern. Es ist höchste Zeit, dass die Städte flexibler und einfallsreicher werden. Die Lösung liegt meiner Überzeugung nach in einer umfassenden Neuausrichtung unserer Innenstädte. Wir sollten multifunktionale Zentren schaffen, die auf Diversität und Kreativität basieren. Gestaltung und gute Konzepte sind entscheidend, um die Bedürfnisseder Bürgerinnen und Bürger zu erfüllen. Unsere Kommunen sollten als Vorreiter fungieren, um die Zentren durch innovative Ansätze zu beleben. Da müssen Verkaufsflächen aus dem Markt genommen und zu Verwaltungseinrichtungen oder Bildungsinstitutionen umgenutzt werden – sie müssen bewusst ins Herz der Stadt integriert werden, um so neues Leben in die Stadt zubringen. Durch kreative Zusammenarbeit im Städtebau können wir mehr solcher lebenswerten Umgebungen schaffen. Als Planerin freue ich mich darauf, mit unseren innovativen Ideen sinnvolle Beiträge zur Stadtentwicklung zu leisten. Die Umnutzung von Gebäuden und die Entwicklung neuer Konzepte zeigen, wie Architektur das städtische Leben positiv beeinflussen kann. Nur dann werden unsere Städte wieder zu lebendigen Zentren.
Erschienen im Insider 75. Hier ansehen und herunterladen.
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